Peters Aufzeichnungen für den 3. Roman – 2004 (Auszug)
Apr 15th, 2012 by Claudia Podehl
Im dritten Roman sind sie das Paar mit der legendären Kuba-Vergangenheit, von der zuweilen schon der Putz abblättert, wie von den Häusern in Havanna – Negativparallele: Andreas und Nina, die durch die Zeitungen geisterten nach ihrer Hochzeit.
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Der dritte Roman ist schon fertig im Keller des Herzens
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Mit dem ersten Schrei eures Kindes geratet ihr an den Eingang der Unsterblichkeit; durchschreitet ihr das Tor der Unsterblichkeit.
Alle andere Unsterblichkeit ist Spekulation, freundlicher gesagt: ist Glaube.
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Er schreibt ein Buch IMMER WIEDER AB IN DEN SARG. Er (und ich) wiederholt darin Einiges, das aus Roman II schon bekannt ist.
Wir Menschen lieben es, Bekanntes wiederzuerkennen.
Ferdinand auf dem Wege zum Journalisten, ja Essayisten Tb 5/69 (in Rom geklaut). Dazu das Buch von Gruen: VERRATENE LIEBE – FALSCHE GÖTTER
Alle Zeigefinger meiden.
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Beim WDR hatte ein Bühnenarbeiter eine auffallend teure Uhr, deren Besitz er damit begründete, dass man sein Geld ja irgendwo lassen müsste.
DDR-Gutverdiener beklagten Mangel an Geldausgabemöglichkeiten.
Was macht ein Manager mit zwei Millionen Monatsgehalt?
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Einer, der im Paradies sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen.
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Die blonde Schauspielerin bei Staudte, die ihren Liebhaber erschoss, weil er zu seiner Familie zurück wollte.
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Die Unsterblichkeit des Menschen hat sehr wenig mit Mysterium zu tun, sie ist außerordentlich anschaulich: Kind und Kindeskind. Bisschen mystisch, dass ein Kind die Unsterblichkeit zweier Menschen ausmacht, beinhaltet, präsentiert, belegt, bekundet.
Wenn mein Enkel noch sehr wackelig im Kniegelenk durch den Garten torkelt: Da torkelt meine Unsterblichkeit.
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Susannenvater wird schwer krank, will aber nicht sterben, bevor er nicht das Enkelkind plärren gehört hat.
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Wer Sachen nicht findet, hat zu viele.
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Schreiben heißt, das Herz waschen. Von Thomas Mann? Ich bete zweimal täglich: „.. und vergib uns unsere Schuld.“ Wo ist meine Schuld? Ich versuche beim Gebet gelegentlich, den Tag nach meiner Schuld zu durchkämmen. Das Ergebnis ist stets mager. Gründe: Verdrängung oder echter Mangel?
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“Nous souhaiton bon voyage a Marie Belle e de faire triompher notre arme secrete: la poesie.“ Das war Jean Cocteaus hommage an die Schauspielerin und Prinzipalin Marie Belle, die mit dem SEIDENEN SCHUH auf Tournée ging. Wir sahens im Hebbel-Theater, unvergessen: Die Darstellung eines Mondes durch eine Person, die Leuchtfäden auf den Armen trug und damit Mondphasen präsentieren konnte.
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Zuweilen gehen wir Hand in Hand barfuß durch die Hölle, den Himmel im Herzen.
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Höre, Schreiber, der Heilige Geist kommt nicht auf Wunsch, sondern aus Gnade, nicht auf deinen Wunsch, sondern aus seiner Gnade.
Und sei eingedenk, dass Er sehr stürmisch kommen kann. Alles andere als willkommen.
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Computer gestohlen, auf dem Parkplatz vor der Stazione Termini. Auf hinterhältige Weise, genau wie der Diebstahl von Hazels Handtasche auf der Alhambra.
Schaue nach Osten über die Bucht von Salerno. Sonne steigt hinter den Bergen hoch, ist aber noch nicht aufgegangen. In der Computertasche auch das Tagebuch und 3×100 Euro. In der neuen Cordhose müsste ich den Roman eigentlich schaffen.
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Ich habe keine Arme mehr frei, um die Gedanken zu halten. – Kellnerassoziation
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Der dritte Roman: Menschwerdungsprozess.
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„Ich bekomme so viele Nachrichten aus einer anderen Welt,“ könnte Susannenvater sagen. (Ein Spencerfan argwöhnt, dass ich mich selbst im Susannenvater porträtiere.)
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Freiheit ist zunächst einmal eine wabbelige Masse. Aus. Punkt. Es gibt auch die Freiheit Pornos anzugucken.
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Im Keller meines Herzens: Ich gehe da nicht so gern runter. Es ist dunkel, feucht, riecht muffig… Da soll mein Roman schon fertig sein? Genau dort ist Faktum! Nochmal: Schreiben heißt, das Herz waschen.
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Die unendliche große Geduld der Natur.
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Höre nie auf, mit mir zu sprechen, auch nicht, wenn ich taub werde oder ins Koma falle!
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Terminus: zu reich.
Chefs verdienen 420 x so viel, wie ihre Arbeiter.
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Diese Frage liegt jenseits aller Antworten. Zu dieser Antwort gibt es keine Frage.
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Ein Liebespaar hat 20 Finger und 4 Beine
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Neue Sportart: Fußball ganz wie gehabt, aber es sind 2 Bälle auf dem Spielfeld, die ins gegnerische Tor müssen.
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Wir Menschen haben keinen Schwanz mehr, weil wir die Sprache haben. Sagt Claudia.
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Geht Susannenvater auf dem Friedhof spazieren?
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Knarzende Metapher: Wie Sand am Meer rumlaufen.
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Der Roman als Lebensmittel.
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Susannenvater: Wenn ich heute jung wäre, … würde ich meiner Frau einen Liebesbrief schreiben. Aber sie sitzt ja direkt neben mir an der Bettkante.
… würde ich ihr ein Liebesgedicht dichten. Wenn ich heute jung wäre, fielen mir noch Reime ein.
Mir hat der Adolf in die Kindersuppe gespuckt.
„Gelt, du wirst mich nicht hindern, friedlich zu sterben.“
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Das Ausklicken gewisser Seelenteile, des Gewissens…
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13.1.2004
Letzter Tag in Mandela. 300 Tage bis 8. November 2004
Es ist wohl eine Menge hier entstanden. Deutlich kreative Phase. Nur: Der Roman ist nicht entstanden.
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Da ist niemand mehr, den man noch fragen könnte. (Eine Überschrift, eine mögliche.) Gehört zum Susannenvater.
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Der schönste Druckfehler des Jahres: Freuberufler, statt Freiberufler.
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Ein Dialog mit mir ist manchmal sehr mühsam.
Ich fühle mich am Schreibtisch außerordentlich wohl.
Ich strenge mich wahnsinnig an, gerecht zu sein, aber ich schaffe es nicht. In Havanna fand ich Ramona süß. In München ist sie eine Hexe geworden, die über den Atlantik fliegt.
Mir fallen lauter Sprüche ein, von denen nicht einer in das Buch passt, das ich schreibe.
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Gespenstisch, was aus einer Wohnung wird, in der so lange keiner Schweißausbrüche hatte.
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Das Baby hat zum Denken keine Worte. Es kann auch nicht mit dem Schwanz wedeln.
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Susannenvater: „Ich werde sterben, bevor ich das Grimm’sche Wörterbuch ganz durchgelesen habe.“
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Man kann mit Reichen nicht über Armut sprechen. Kann man mit Armen über Reichtum sprechen?
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Susannenvater: „Ich weiß genau, dass es in der Apotheke größere Packungen gibt, die günstiger sind. Trotzdem frage ich ab und zu mal nach, weil ich ein bisschen Gespräch will.“ Winziges Beleidigtsein der Mutter.
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Alleskieker eifersüchtig auf Ferdinands Bucherfolg. So weit kommt das noch!
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Ohne Liebe sind wir Seelenkrüppel.
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Ich brauche nur eine Sekunde in die falsche Erinnerung.
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Wie viel Ungesagtes nehmen Sterbende mit in den Tod? Wir sterben mit vielem Ungesagten. Am wichtigsten ist im Angesicht des Todes, dass wir Liebe sagen und gesagt kriegen.
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Christus entgrenzt mich – uns – in die Freiheit.
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Alleskieker, jetzt hör doch mal auf, andauernd von Liebe zu schwafeln. – Warum? Sie hören ja auch nicht auf, andauernd von Haushaltslöchern und Terroristen zu schwafeln.
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Christus ist doch auch Freude, zum Lachen: „Oh du fröhliche…“
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Geschiedenes Paar, die sich gegenseitig sietzen.
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Mit einem Schmetterlingshäscher einen Engel einfangen.
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Der hier schreibt, hat alles hinter sich. Als er‘s notierte, war‘s mörderisch.
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168 Tage bis zum 8. November 2004. Und ein Gefühl, in einer finsteren Höhle zu schwimmen. Naja, so eine Bergleute-Lampe habe ich schon auf der Stirn. Dennoch: Bohrt die Frage: wohin rollt der Roman?
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Susannenvater: „Ich muss überhaupt nichts mehr. Ich könnte mich jetzt ins Bett legen und bräuchte erst wieder aufstehen, wenn ich sterbe.“
Mit Nivea-Fingern kann man kein Brillenputztäschchen aufmachen.
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Ich habe da eine, die ich liebe und der ich was verschweigen kann.
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Sehnsucht kann etwas wunderbares sein, aber auch etwas schreckliches: Meiner Mutter fielen in Odessa vor Heimweh die Haare aus.
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So unterschiedlich ist der Unterschied zwischen Schreiber und Leser doch nicht.
Das ist trächtig!
Schreiben ist langsamer, lesen schneller.
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Susannenvater: „Man muss es mal sagen: Es gibt Sachen, die sind weg.“
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116 Tage zum 8. November 2004. Zehn Kapitel sind geschrieben, das wäre ein Drittel Text, davon ausgehend, dass es 30 Kapitel werden. Das bedeutet Zeitdruck!
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Roman I zog Spannung aus der Liebesgeschichte. Roman II bezog Spannung aus Trennung und Wiederfinden. Woraus zieht Roman III die Spannung?
Civitella in der Morgensonne, antworte!
Da flirrt und flackert eine reflektierende Glasscheibe. Da sie es über diese große Distanz schafft, muss sie ziemlich groß sein. Es wird schwächer: – es ist eine Frage des Winkels. Schöne Antwort, allerdings unergiebig.
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Ich schreibe einen – wie heißt das? – Schlüssselroman: DIE ZUNGENSPITZE DER VERLEGERIN.
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Ferdinand: „Man kann sehr viel über Frauen lernen. Ein Rest bleibt immer. In dem Rest hockt die Liebe. – „Gipfelgespräche“.
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Die neue Aufgabe des Daumens: SMS
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Es gibt Nutten, die retten Ehen.
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Krieg du erst mal mein Alter, und dann reden wir nochmal. Wenn ich dann noch zu sprechen bin.
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Kann man der Hochspannung des Gut-Schreiben-Müssens nicht mal die Niedrigspannung des Lässig-Schreibens entgegensetzen? Oder ist es das, was ich in meinen besten Momenten ohnehin tue?
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Was kann man mit dem Feind alles tun? Kämpfen, siegen, töten, ausschalten — reden. Wir sind ein Gespräch.
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Die Fetzen-Existenz des alten Susannenvaters.
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Von wegen Gespräch: Der Andere will kein Gespräch.
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Alles, was ich in diesen drei Jahren unter den Teppich gekehrt habe, bricht nun auf, als sei es unter dem Teppich in dunkler Hitze weitergewachsen.
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Susannenvater hätte einige Bedenken noch einmal jung zu sein.
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Wenn sich eine Fliege in Ferdinand verliebt, hat er eine schlimme Zeit beim Schreiben am Schreibtisch.
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Am Tag, an dem ich sterbe, wird morgens eine Süddeutsche Zeitung erscheinen, aber ich werde sie nicht mehr lesen: die vielen Zeitungen, die nach meinem Tod erscheinen und die ich nicht mehr lesen muss.
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Die Arschfreigabe in den Schwimmbädern ist doch nicht unbedingt schön. Unbedingt nicht, aber ab und zu schon.
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Geneigter Leser soll wissen, dass Alfred von Bröckler mit diesem Satz aus unserem Roman verschwindet, versinkt- oder aufsteigt, oder in die Nebenwelt geht, nach rechts, nach links, in die Kulissen jedenfalls.
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Ehe als Kreuzworträtsel.
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Wer in den Spiegel schaut, sieht nicht sich selbst, sondern einen, der in den Spiegel schaut. Wer sich selbst sehen will, müsste seinen Bauchnabel durchschauen.
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Man sagte dem Vieh, dass der Bauer gestorben war.
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Latte muckefuckatiato.
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Susannenvater hat Magenbluten, ein Magenkarzinom.
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Abends allein ins Bett, – das fällt mir schon schwer. Kein Quadratzentimeterchen Haut mehr vom Eheliebsten.
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Von einer Frau sagen, sie habe Enkel zur Welt gebracht.
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Trockene Tränen.
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Man kann auch vor Gericht zu einem Gespräch kommen.
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Ich kann nur hoffen, dass die geneigten Leser an der richtigen Stelle heulen.
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In der Liebe der Vernunft einen Part zukommen lassen. Nicht die Prima Ballerina, aber eine Hauptrolle.
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Über meine Erfahrungen mit mir als Autor.
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Susannenvater nach seiner Erzählung im Krankenhaus: „Ich mag es, wenn das Leben mir Überstunden abverlangt.“ Vorwurfsvolle Krankenschwester??
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Das Nichts brächte nie ein Gedicht zustande; nicht einmal über das Nichts.
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Am Freitag den 9.12.2004:
Komme nicht so ganz dahinter, was mit mir los ist: Geht es um diesen Endspurt der letzten fünf Kapitel, überfällt mich eine bleierne Schwere, als ob das gar nicht mehr zu schaffen sei.
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Er ließ sich vom automatischen telefonischen Weckdienst wecken und sagt: „Danke!“
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„Unser Körper ist ein Engel,“ sagt Fernseh-Pastor Fliege.
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Mein Bettler wünscht mir Glückseligkeit.
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Liebe ist ein (der?) Lebensretter.